Aus dem Leben  ·  Erinnerungen

Lehrjahre in Obersaxen

Nach Abschluss des Lehrerseminars fand Eduard Lombriser eine Stelle in Obersaxen. An der Mittelstufe unterrichtete er mit Engagement die dritte und vierte Klasse. Auch am kulturellen Leben im Dorf nahm Eduard Lombriser regen Anteil. Er leitete den Männerchor, sang im Kirchenchor, spielte Trompete in der Dorfmusik, begleitete auf der Orgel die täglichen Schülergottesdienste und wirkte mit im Theaterverein, wo er auch ein Mal Regie führte.

1. Auf Stellensuche

Viele Aspiranten, wenige offene Stellen. Dies ist die Situation am Ende meiner Seminarzeit. Für zwei Stellen in Obersaxen haben sich neben mir noch achtzehn andere Junglehrer beworben. Auf Empfehlung meines Vaters wandere ich in der Karwoche von Truns nach Obersaxen, um mich einigen Mitgliedern der Schulkommission persönlich vorzustellen.

Mein erster Besuch bei Martin Alig, einem begüterten Bauern im Weiler Tschappina, macht mir Mut. Hier erfahre ich, dass der jüngste Sohn Emil ebenfalls Lehrer werden soll. Auf einem Harmonium, das in der Stube steht, spiele ich ein paar Akkorde und erkläre mich gerne bereit, dem Jungen Musikunterricht zu erteilen. Emil, der nach dem Seminarabschluss Musik studiert, wird nach meiner Wahl tatsächlich mein Klavierschüler.

Auch bei meinem nächsten Besuch im Weiler Pellavarda, bei Thomas Mirer, habe ich ein gutes Gefühl. Das heikelste Treffen steht mir aber noch bevor. Pfarrer Josef Schmid, der Präsident der Schulkommission, treffe ich im Hauptort Meierhof in der Kirche. Seine Begrüssung ist frostig. Er empfiehlt mir bloss, beim Gemeindepräsidenten Georg Arms vorzusprechen.

Endlich! Im Sommer erhalte ich die Mitteilung über meine Wahl für die Mittelstufe. Bei einem Treffen im Pfarrhaus, zusammen mit den übrigen Lehrern von Meierhof, verteilt Pfarrer Schmid die Aufgaben für den kirchlichen Dienst: "Sie, Herr Sax, leiten den Kirchenchor. Sie, Herr Henny, übernehmen weiterhin den Orgeldienst. Und Sie, Herr Lombriser, spielen bei den täglichen Schülergottesdiensten die Orgel!".

Nach der Verabschiedung meiner zukünftigen Kollegen offenbart mir Pfarrer Schmid: "Ich habe nicht für Sie gestimmt. Jetzt sind Sie aber da, und so wollen wir zusammenarbeiten!" In der Kirche muss ich ihm einige Lieder auf der Orgel vorspielen. Ich bestehe die Probe zu seiner vollen Befriedigung. Ich habe seine Sympathie gewonnen, die er mir auch in den folgenden Jahren stets bewahrt. Seine Wertschätzung für mich zeigt sich auch im folgenden Empfehlungsschreiben:

Obersaxen, 5.5.42.

Sehr geehrter Herr Lehrer Lombriser,

es tut mir leid hören zu müssen, dass Sie uns vielleicht nach Truns entkommen wollen. Als Pfarrer des Ortes und Ihr Schulratspräsident wusste ich Ihre Tätigkeit wohl zu schätzen. Vielleicht hat es dann und wann meinerseits an der verdienten Würdigung gefehlt. Wenn ja, dann nur, um nicht einheimische Kräfte, die Sie durch Ihre flotten Leistungen weit übertrafen, nicht blosszustellen. Ich möchte aber wünschen, dass Sie, wenn Sie sich vielleicht doch melden sollten für die Stelle in Truns, die frei wird, dieses Schreiben Ihrem Schulrate vorlegen als privatim ausgestelltes Zeugnis, das sicher der Wahrheit entspricht und vielleicht ein bisschen für Sie in die Waagschale fallen mag. So sehr ich Ihren Wegzug bedauern müsste und im Grunde bedauert es jeder Vater, der ein Kind zu Ihnen in die Schule schickte, so sehr ich also einen Wegzug bedauern müsste, begreife ich, dass Ihnen die Mumma romontscha (romanische Muttersprache!) besser zusagt. Und nachdem Sie in so vorzüglicher Weise in unseren sehr schwierigen Verhältnissen die «Schnüre abverdient» haben, hätte ich keine Bedenken, Sie als einheimischen Lehrer Ihrer Heimatgemeinde anzuempfehlen.

Ich danke Ihnen für Ihre geleistete Arbeit von ganzem Herzen und grüsse Sie, indem ich Ihnen allen Erfolg wünsche,

Ihr Pfarrer Josef Schmid

2. Mit dem Männerchor am Bezirksgesangsfest

Neben der Schularbeit und dem Orgeldienst engagiere ich mich fleissig bei den Dorfvereinen: im Kirchenchor, im Musikverein und bei der Theatergruppe, wo ich auch ein Mal Regie führe. Das Bühnenbild bei diesem Vierakter malt Alois Carigiet, der zu diesem Zeitpunkt in Obersaxen lebt. Sein Honorar: Zwei Gratiseintritte für zwei Nachbarinnen! Ja, und da gibt es in Obersaxen seit zwei Jahren noch einen kleinen Männerchor. Und mir überträgt man die Leitung dieses Gesangsvereins.

Im Frühjahr 1939 soll in Danis-Tavanasa, einer Fraktion der Gemeinde Brigels, das Bezirksgesangsfest stattfinden mit den Chören des Bündner Oberlandes. Von Obersaxen hat noch nie ein Gesangsverein an einem solchen Fest teilgenommen. Präsident des Männerchors ist Georg Arms, der Gemeindepräsident von Obersaxen, ein eifriger Sänger mit einer markanten Tenorstimme. Soll sich dieser Männerchor auch an diesem Wettstreit beteiligen? Man will meine Meinung hören.

Ich bin Feuer und Flamme dafür, mache aber gleich einen kühnen Vorschlag. Ein Chor mit bloss zwanzig wenig geschulten Sängern scheint mir eine riskante Sache. So schlage ich vor, zu diesem Zweck den Chor mit Sängern und Nichtsängern aus den umliegenden Weilern zu verstärken. Damit ist man einverstanden. 39 Chöre singen am 23. April 1939 ihre Wettlieder vor einem Expertengremium. Drei Tage später liest man im Bündner Tagblatt:

«Singe, wem Gesang gegeben», heisst es irgendwo. Früher hiess es, Gesang sei den Obersaxern nicht gegeben. Am Sängerfest in Danis-Tavanasa jedoch haben die Obersaxer durch ihre ganz hervorragende Leistung vielerorts gehörig überrascht. Denn Herr Lehrer Lombriser arbeitete mit seinem erst vor kurzem ins Leben gerufenen Chore von 40 Mann dermassen schneidig, dass er nach kurzer Übungszeit einige langjährig trainierte Chöre sogar in der schweren Kategorie gehörig überflügelte».

3. Zusätzliche Schulferien bei Kriegsausbruch

Seit dem 3. September 1939 befindet sich Deutschland mit Frankreich und England im Kriegszustand. In dieser Zeit leiste ich meinen Grenzschutzdienst im Schamsertal. Unser Strohlager ist mitten im Dorf Andeer in einem Wirtshaussaal. Aktivitäten unserer kleinen Militärmusik: Spiel- und Marschübungen, ab und zu ein bescheidenes Dorfkonzert, Sanitätsübungen und zur Abwechslung Arbeiten mit Pickel und Schaufel.

Anfangs Oktober hätte ich meine Schülerkompanie in Meierhof übernehmen sollen. Die Schulkommission unternimmt ihr Möglichstes, mich frei zu bekommen. Endlich! Nach achtundvierzig Diensttagen erhalte ich den ersehnten Urlaub. Ein angenehmes Gefühl, wieder selber Herr und Meister zu sein. Aber die Freude währt nur kurz. Schon fünf Wochen später erfolgt das nächste Aufgebot. Meine Schüler bekommen wieder Ferien.

Ich muss nach Flims einrücken. Dort treffe ich wieder meine Spielkameraden, fast die Hälfte davon Lehrer. Zum Glück hat ein älterer Kollege gute Beziehungen zu einem Bündner Regierungsrat. Dieser kann bewirken, dass die Lehrer nach dreizehn Tagen wieder entlassen werden. Ohne weitere Aufgebote können wir ungestört den Unterricht bis Ende Schuljahr weiterführen.